Jos. Rheinberger beschreibt seinem Bruder David die Stimmung in Deutschland nach dem Beginn des Kriegs mit Frankreich


Brief Jos. Rheinberger an David Rheinberger


München den 29.17. 70.

Lieber Bruder!

Dass ich so lange nicht zum Schreiben kam, daran trägt wohl hauptsächlich die allgemeine Kriegsaufregung schuld, die natürlich Alles andere in den Hintergrund drängt. Aus Deinem Briefe ersehen wir den Vorschlag, uns nach Vaduz zu flüchten; Du scheinst also zu glauben, man befürchte hier eine Invasion der Franzosen; man fürchtet zwar den Krieg (nicht die Franzosen), wenn er droht, wenn er aber da ist, zeigt sich eine gehobene Stimmung, überall, in allen Schichten, die verbohrtesten Ultramontanen vielleicht ausgenommen, die überhaupt kein Herz für ein geeintes Deutschland haben. -

Heute schliesst die kgl. Musikschule. Montag den 1. Aug. gehen wir nach Kreuth [1], da eine weitere Entfernung von der Heimath in dieser Zeit nicht angezeigt ist und die Pflicht gebietet, auch die allgemeinen Lasten mitzutragen. -

Wie geht es der Schwägerin Therese [2]? Ist Maly [3] wieder ganz wohl? Den nächsten Brief werde ich von Kreuth aus an Peter schreiben.

An die lieben Eltern und Alle die herzlichsten Grüsse, bis auf Weiteres
Dein Bruder
Josef Rheinberger

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[1] Wildbad Kreuth, bevorzugter Ferienort des Ehepaares Rheinberger.
[2] Gemahlin des Bruders Peter Rheinberger in Vaduz.
[3] Amalia, Schwester des Komponisten.