Hedwig von Holstein schreibt an Fanny Rheinberger unter anderem über die letzte Aufführung von "Haideschacht" und über Fritzsch


Hedwig von Holstein schreibt unter anderem:


Leipzig, 22. März 1870.

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Eben jetzt hatte ich sehr lieben Besuch, als ich Strohwitwe war, die Frau Krebs-Michalesi wohnte wieder bei mir & sang in der Missa solemnis, Charfreitag kommt sie auch zur Passion. Sie ist eine ächte Künstlerin & stolze Mutter, lhre Tochter ist die in England so sehr geschätzte Mary Krebs, ein reizendes lebensvolles Mädchen von 18 Jahren, die sich schon ein ganzes Vermögen zusammengeklimpert hat & alle möglichen Ehrendecorationen erworben. -

Sonntag ist Aufführung bei meiner Schwester, eine Bach'sche Cantate für Doppelchor, die Flucht nach Aegypten von Bruch & zwei Lieder für Frauenchor von Reinecke. Franz dirigirt nie bei ihr, well sie so wunderlich ist, dass schwer mit ihr auszukommen, und mein Mann verträgt keinen Widerspruch beim Dirigiren. -

Die letzte Aufführung des Haideschacht - vorigen Mittwoch - war zwar gerade so voll, wie die erste, aber es ging herzlich schlecht. Eine lange Pause & die Unlust des Capellmeisters machte sich geltend, so dass es nahe am Umwerfen war. Der arme Bassist hatte am Morgen sein Kind begraben & musste nun immer von seinem "süssen Kinde" singen! Die Stimme schlug ihm dabei über.-

Der grosse, allgemeine Theaterscandal mit der Ohrfeige, von dem Sie gewiss gehört haben, hat die gute Folge gehabt, dass Lanke furchtsam geworden ist & unter Anderem gerade in diesen Tagen Franzen Honorar statt Tantime geboten hat. Er freut sich sehr darüber.- Neulich habe ich Fritzsch vorgesungen. Was ist das für ein närrischer Kauz! Ich sah ihn zum ersten Mal. So ohne jede Form, jede gesellige Freundlichkeit ablehnend, & doch in gewisser Weise anziehend & Achtung gebietend, wie ein ächter Mann aus dem Volke. Ihren Mann scheint er wahrhaft zu lieben, es war der einzige Gegenstand, über den ich ihn reden machen konnte.-

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