Hedwig von Holstein schreibt an Fanny über das Wirken ihrer Männer und darüer, dass Zenger Musikdirektor des Münchner Theaters geworden ist


Hedwig von Holstein schreibt ihrer Freundin Fanny:


Leipzig, Dienstag 14. Dec.69.

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Dass die 7 Raben wieder ein so andächtiges Publikum gefunden haben, wundert mich garnicht. Wie die Wirkung & Stimmung im Werke selbst sich immer steigert, so wird auch die Aufnahme im Allgemeinen immer langsam, aber sicher, sich steigern. Das Reine & Edle muss sich mit der Zeit Bahn brechen, wenn wahre Schönheit es zugleich verklärt. Schade, dass Sie nicht in M/annheim/ waren, ein neuer Ort, andere Sänger, anderes Publikum muss immer eine neue Wirkung bringen. Mit dem

Haideschacht geht es den Schneckengang. Im Mai 69 sollte er hier in L/eipzig/ aufgeführt sein, war fest versprochen, & Franz musste per Telegramm damals die Stimmen von Dresden erbitten, weil es brieflich nicht rasch genug gehe. Seitdem sind wir glücklich bis in den Januar hinaufgerutscht, seit 6 Wochen probirt mein Mann fast täglich, die Solisten können ihre Parthien ganz gut, nur der Chor lernt nicht, weil immer andres vor ist & die dummen Dinger nicht zweierlei auf Ein Mal in den Kopf bringen. Nun kommt Reineckes "Manfred", der zum 4. Mal in L/eipzig/ gegeben wird, zwischen Weihnachten & Neujahr, & Reinecke hat es zur Bedingung gemacht, dass er eher komme als Franz. Natürlich 1ässt sich Franz Alles gefallen & sagt nicht "Meff" dagegen, wenn Sie diesen Hundeausdruck kennen. Seine Bescheidenheit ist manchmal zum Verzweifeln.

Mit Laubes stehen wir ganz freundschaftlich, & er war nach unsrer Rückkehr von der Sommerreise garnicht zu Laube zu bringen, damit der nicht denken möge, er wolle wegen seiner Oper treiben. Ebenso machte er's mit dem obersten Regisseur Behr. Ich war längst im Fieber der Ungeduld & hatte ihn gebeten, irgend welche Schritte zu thun, & er hatte mir sehr auseinandergesetzt, dass er garnichts thun könnte. Da begegnen wir früh auf unserm Morgenspaziergang in's "Rosenthal" diesem Behr, der meinen Mann anredet mit der Frage, warum er sich denn garnicht um seine Oper kümmere? wenn er nichts dazu thue, da komme es überhaupt zu nichts, etc.etc. Sie können denken, was das Wasser auf meine Mühle war. Von Stund an kamen die Proben in Gang. Die Solisten haben auch einmal bei uns probirt, & ich habe Allen die Cour gemacht, sodass es Handküsse regnete & mein Mann sich garnicht genug über mich verwundern konnte.

Eine Stehle haben wir aber nicht dabei. Alle Parthien kommen nur höchst nothdürftig zur Geltung. -

Neulich war Zenger hier und vertraute meinem Mann, dass er Musikdirector am Münchner Theater geworden sei. Wir waren höchst erstaunt, & Lachner, den wir darüber sprachen, konnte sich diese Wahl auch garnicht erklären, da Zenger ganz schaamlos unverschämt gegen Perfall gewesen. Lachner haben wir recht genossen, seine neue Suite [1] hat wieder ungeheuer gefallen, & sein grosses blaues Auge hat mich persönlich an dem alten Mann entzückt, als er bei einem Diner neben mir sass. Unter anderm sagte er unumwunden: "Rheinberger ist

unbedingt einer der bedeutendsten jungen Componisten, den ich überaus schätze." Er war ganz erstaunt, dass ich Rheinbergers Frau kannte & wollte mir "ihr merkwürdiges Schicksal" erzählen. Ich wurde sehr warm über diese Rheinbergers, was ihn herzlich zu freuen schien. Doch genug, Weihnachten ruft! -

Nur noch eins: wir haben 2 Mal grosse Freude erlebt, indem zwei unsrer besten Freunde, Dietrich aus Oldenburg & Winding aus Copenhagen ungeheure Erfolge im Gewandhaus hatten.

Freundesglück ist fast noch beseligender als das eigene.

Ich kann mich unsäglich mitfreuen. -

Ade! Ein gesegnetes Fest wünscht

Ihre H/edwig/ v. H/olstein/.

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[1] Franz Lachner - Suite für Orchester in c-moll, op. 135, erschienen 1868.