Max Greis rezensiert über Richard Wagners "Meistersänger". Seine Meinung wiederspiegelt wesentlich die Ansichten Rheinbergers Freunde, vor allem jene seiner Frau Fanny.


Rezension von Max Greis zu Richard Wagners "Der Meistersinger von Nürnberg"
22. Juni 1868, München

Einige Bemerkungen über die am 21. Juni 1868 an hiesiger Hofbühne stattgefundene erstmalige Aufführung der Meistersinger von Nürnberg Oper in 3 Aufzügen von Rich. Wagner.

 Der Enthusiasmus unseres Königs für Wagnersche Musik hat noch nichts nachgelassen.

Dafür spricht die Einstudierung und Aufführung dieses neuesten fertigen Werkes des so begünstigten Meisters an hiesiger Hofbühne.

Davon zeugt ferner die Anwohnung des Komponisten der Aufführung an der Seite des Königs in der grossen Loge, von wo aus er die Ovationen eines in Wahrheit oder nur scheinbar, - darüber will ich nicht entscheiden - begeisterten Publikums entgegennahm.

Es ist dies jedenfalls eine so seltene Auszeichnung, dass es schwer wird, dieselbe irgendwie zu beurtheilen.

Entweder sind die Verdienste des Meisters wirklich so gross, dass ihm gebührt von Königen danach geehrt zu werden, oder es ist eine eigenthümliche Herablassung unseres Monarchen, die wieder schwer zu bezeichnen ist.

Was nun die Verdienste des Meisters anlangt, so sind dieselben in meinen Augen nicht derart, dass eine solche Auszeichnung sich rechtfertigen liesse, was gegenwärtiges Werk wieder beweist.

Wagner hat sich in seinen neueren Compositionen verirrt, das ist keine Musik mehr, das ist nur ein Durcheinander von Tönen, worunter auch Misstöne sind, das ist ein Hin- und Hergefasel ohne bestimmten Ausdruck, eine stete Zusammenfügung neuer Tonmassen ohne befriedigende Lösung. Dabei sind Anforderungen an die Sänger gestellt, denen zu entsprechen dieselben Bewundernswerthes leisten müssen, was sämmtliche, wie hiemit konstatirt wird, auch wirklich gethan haben. Das wenige nur Erträgliche, das in dieser Oper vorkömmt, ist kaum nennenswerth gegenüber dem vielen nicht Erträglichen. Ich spreche hier nur von dem musikalischen Theil.

Die Handlung ist an und für sich eine gut gewählte und schreitet namentlich im I. und III. Akt systematisch in sich abgerundet fort. Nicht so lässt sich das vom II. Akt behaupten. Insbesondere soll Richard Wagner die Komik beiseite lassen, denn so wie er sie anbringt, wirkt sie läppisch, ja geradezu langweilig.

Dass für Scenerie und Regie Unübertreffliches geleistet wurde, brauche ich nicht zu erwähnen, Wagner kann sonst überhaupt keine Oper schreiben, ohne dass nicht in der Art die höchsten Anforderungen gemacht werden.

Ich bewundere wiederholt den unendlichen Fleiss sämtlicher Mitwirkenden, welche die undankbaren Schwierigkeiten dieser Composition so meisterhaft bewältigten.

Wie war nun diesen gegenüber der Erfolg?

Nach dem grossen Applaus und dem Hervorruf des Componisten zu schliessen, müsste derselbe von durchschlagender Wirkung gewesen sein.Hört man aber die Urtheile ruhiger, besonnener Männer, so sieht es schon anders aus. Die Zeit wird endlich einmal eine Klärung dieser verirrten Geschmacksrichtung bringen.

Soviel über die erste Aufführung des lange vorher besprochenen Werkes des ganz gewiss genialen, aber von einer gesunden Bahn abgelenkten Meisters.

München, den 22. Juni 1868
Max Greis.

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