Hedwig von Holstein schreibt an Fanny Rheinberger, es lassen sich biographische Details entnehmen


Breif von Hedwig von Holstein an Fanny Rheinberger:


Frühjahr 1868

… Sagen Sie, darf ich Ihnen mit einer Armensache kommen?
Ich stecke so tief drin in diesen Geschichten, dass sie eben
den besten Theil meiner Zeit und Kräfte in Anspruch nehmen,
und Ihr Zusammenleben mit Ihrem Mann, Ihr rein schöngeistiges
Streben hat mich auf Stunden wieder wankend gemacht,
ob ich nicht ein Unrecht an dem meinigen thue, wenn ich
so wenig Zeit für seine Interessen übrig behalte. Sich aber
aus solchen Banden, wie eine langjährige Armenpflege ist,
los zu machen, ist einem welchen Herzen kaum möglich.
So hat mich denn auch ein verkommener protestantischer
Geistlicher, jetzt Privatgelehrter Krieger, sehr durch
sein Unglück gerührt. Er ist halbblind und war seiner Augen
wegen in Berlin, von wo aus man ihn ohne Hoffnung
wieder zurück nach München schickte, wo er eine halb wahnsinnige
und immer kranke Frau und 2 kranke Töchter haben
soll. Nur eine Tochter ist gesund, 15jährig und musikalisch.
Sie giebt Clavierstunde à 12 Kreuzer, und wünscht
deren mehre oder besser bezahlte zu haben. Dies ist nun
des Pudels Kern. Wollten Sie sich in einer müssigen Stunde
so weit in mein Feld herablassen, das junge Ding einmal
zu prüfen und wenn Sie es Ihrem musikalischen Gewissen
nach können, sie als Kinderlehrerin empfehlen? Die ganze
Geschichte verbürge ich keineswegs. Der Mann ist blos auf
Bettel mir gewesen, hat mir noch dazu nicht gefallen;
desto mehr hat mich aber ein halber Brief dieses Töchterchens
gerührt, die ihm hierher von München aus geschrieben
hatte.

Wie wär es denn, wenn Sie Ihren vortrefflichen Bedienten
an einem Tage, wo Sie kein 'offenes Haus' haben, in die
Maximilianstr. Nr. 14, 4 Treppen hoch, 'unmittelbar'
allerdings, schickten, um das Mädchen zu sich bestellen
zu lassen? -

Dafür bekommen Sie vom Himmel auch wieder Ablass, wenn Sie
noch einmal mit Liszt diese Strasse Arm in Arm hinunter
gehen, oder für das eine Mal, mit welchem Sie sich schon
die Hölle verdient haben. Liszt ist ein Dämon, damit ist
alles Lob und alles - Leid gesagt, was er verdient.
Sie sind doch ein ganz klein Bischen von ihm bethört,
nicht? - Er könnte Ihnen ganz gewiss gefährlich werden, wenn
Sie dem einzigen Einen nicht Ihr ganzes Sein geschenkt
hätten. Ich glaube, Sie selbst haben auch etwas Dämonisches,
also Verwandtes mit Liszt.

Bitte schicken Sie Claussen bald fort von München nach Italien,
ich glaube, er hat Talent, überall hängen zu bleiben.

Grüss Gott!

Ihre Hedwig von Holstein.

 

 

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