J.G. Rheinberger erzählt seinem Bruder von seinen Tätigkeiten in Kreuth, und meint dass es nicht schöner werden könnte.


Brief an seinen Bruder David
Kreuth, 16. August 1866

Kreuth d. 16/8 66.

Lieber Bruder David! Eben zurückgekehrt von einer reizenden Alpenpartie fand ich Deinen lieben Brief und beeile mich denselben umsomehr sogleich zu beantworten, als ihr ohnedem von mir aus Kreuth noch keine Nachricht habt.

Kreuth ist reizend schön zwischen 4 Bergen gelegen, von denen einer, der 6100 Fuss hohe Plauberg die österr. Grenze bildet. Das Badehaus (od. Curhaus) ist nieder [1], aber sehr langgestreckt; daran schliesst sich die grosse Kurhalle; an diese die Stallungen, Oekonomiegebäude, eine Kapelle, ein kleines Wirthshaus, noch ein Fremdenhaus, das kleine Haus für die kgl. Familie und ein Posthaus, das ist Bad Kreuth. Eine halbe Stunde von hier das Dorf Kreuth. Das Bad ist eine kleine Welt für sich und der Ton unter den Gästen ein sehr familiärer; bei heiterer Witterung kann es nichts lieblicheres geben. Wir sind hier 3000 Fuss über d. Meer, also ächte Bergluft. Alles hier gehört dem Prinzen Karl und wird auf Regie betrieben; da der Prinz nicht auf's Geld und Profit sieht, so ist Alles in bestem Stande u. nicht übertrieben theuer; die Hausordnung ist wahrhaft mustergiltig. Früh 6 Uhr wird zur Molke geläutet (ich trinke jetzt 3 Becher) dann geht man spazieren in den herrlichen Waldungen (noch schöner als auf 'Stellböden') [2], um 8 Uhr Frühstück ad libitum, 1 Uhr Tafel (sehr gut zu 1 fl) Abends geht man, wenn man eben nicht Patient ist, in's Bräustübl, wo es immer kreuzfidel zugeht - aber um 10 Uhr muss man zu Bett. (Nachzuholen - Vormittag 10 Uhr Kräutersaft.) In nächster Nähe sind die herrlichsten Partien; es kann nicht leicht etwas schöneres geben, als das bayerische Hochland. Vor acht Tagen machten wir eine Partie auf die 'hohe Alp' das schönste, was ich bisher in der Art gesehen; man übersieht dort die Ebene nach und mit München (in einer Entfernung von 20 Stunden) dann seitwärts die Allgäueralpen, ja selbst den Säntis - rückwärts die Venedigerglethscher usw. ein Umkreis von nahezu 200 Stunden. Dann assen wir oben Mittag: Braten, Hühner, Zunge und Eier und tranken Deidesheimer. Dann brachen wir in einer Alphütte ein und die Sennerin machte uns einen herrlichen Kaffee. Wir waren zu fünf: ein Kaufmann aus Sachsen, zwei lustige Wiener, ein Kaplan und ich; ich hätte mir was kosten lassen, wenn Du dabei gewesen wärst. Es war gar zu schön! -

Nach Tegernsee sind es zwei Stunden Entfernung, nach Aachensee 4 Stunden; überall die herrlichste Natur; einen wohlthuenden Eindruck macht es, dass man nirgends angebettelt wird; die Leute sind sehr wohlhabend. Wir hatten letzte 14 Tage viel schlechtes Wetter; jetzt ist es besser. Der politischen Verhältnisse wegen sind nur wenig Gäste an unserer Tafel etwa 50 - 60, an der zu 36 xer etwa 70 (letztere grossentheils Freigäste des Prinzen Karl.) -

Häufig gehe ich mit Prof. Froschhamer, dem berühmten Philosophen spazieren; er ist kath. Geistlicher, steht aber auf dem römischen Index; ohne zu widerrufen liess er alles über sich ergehen; er wurde a divinis suspendirt.

Es sind noch Andere interessante Gäste da; unter andern war auch Consa's 'mangelhaft bekleidete' Maitresse Obrenowitsch hier; da sie aber 'verachtet' wurde, fuhr sie wieder mit grossem Pomp von hinnen.

Peter schrieb mir von Prad [3]; es geht ihm zwar gut, doch ist er froh, wenn dieser tölpelhafte Krieg vorüber ist. Ich werde ihm morgen schreiben; vielleicht gehe ich kommende Woche nach Innsbruck, um ihn zu sehen. Eine 4 wöchentliche Kur kommt sehr hoch; unter 100 Gl. komme ich nicht durch; doch bekommt sie mir vortrefflich, besonders da ich durch die Gesellschaft fast täglich zu Partien veranlasst werde.

Dem Maly Gruss und Dank für den Brief. Fr. von Hoffnaass kommt nächste Woche nach Tegernsee, wo ich sie besuchen werde. Dem Lisi Gruss und gute Besserung. Allen andern herzliche Grüsse, den lieben Eltern, Toni, Schwagerin und Herrn Fetz.

Nun Adieu!

Dein Dich liebender Bruder

Josef Rheinberger.

______________

[1] nieder = niedrig (inundartlich)
[2] "Stellböden" = Gegend südlich des Schiosses Vaduz. Auf den Stellböden befand sich ein Weiher, der dem Schwimmunterricht des liechtensteinischen Militärkontingentes diente.
[3] Prad = Ortschaft im Südtirol. Infolge des preussisch-österreichischen Krieges 1866 hatte das liechtensteinische Bundeskontingent unter Peter Rheinberger zum Grenzdienst auf dem Stilfser-Joch auszurücken. liin 5. August war die Truppe einen Tag in Prad einquartiert, um auf weitere Befehle zu warten.