J.G. Rheinberger teilt seinem Bruder mit, dass er in eine neue Wohnung eingezogen ist.


Brief an seinen Bruder David
3. September 1865, München


Lieber Bruder und Kneipgefährte!

Glücklich angekommen in der alten durstigen Monachia. Donnerstag machte ich meinen Umzug in meine jetzige, reizende Wohnung, Odeonsplatz No. 2/3, in der schönsten Lage der Stadt gelegen. Ich habe nun zwei prachtvolle, elegante Zimmer mit Aussicht auf Residenz, Hofgarten, Ruhmeshalle - hoch und gesund gelegen. Meine Hausfrau ist eine Rektorswittwe Eisenhofer, eine würdige, ältere Dame. -
Das neue Conservatorium soll (mit Perfall als Direktor) um Neujahr eröffnet werden - wenn es gewiss ist. Meinen Dienst am Hoftheater habe ich Freitags begonnen; wie General- Direktor L [1].... gelaunt ist, siehst Du am besten aus beiliegender Photographie, welche hoffentlich eine Zierde Deines Albums sein wird. Schafhäutl lässt Alle schön grüssen, besonders die lieben Eltern.
Eben (Sonntag Abends 10 Uhr) komme ich aus dem Theater, wo als bemerkenswertheste Fremde Omer Pascha und General Mac Aellan zu sehen waren; ersterer ein herrlicher, intelligenter Kopf - der Andere unbedeutend aussehend, wie der erste beste Gevatter Schuhmacher oder Schneider - 's' wird halt auch so sein'! O heiliger Yankee-Napoléon!
Das einzige mir Unangenehme meiner jetzigen Wohnung sind die ewigen Regimentsmusiken - etwa sechsmal im Tag werde ich gewiss dadurch gestört - insofern wäre meine Wohnung eher für eine Dame oder pensionirten Offizier geeignet. Aber nichts unter der Sonne ist vollkommen, wie Du schon längst erfahren haben wirst.
Seit einigen Tagen haben wir wieder wahren Hochsommer - da es bei Euch eben so sein wird, so werdet Ihr wohl bald 'susen' [2]! Hoffentlich treffen diese Zeilen Euch alle im erwünschten Wohlsein des Leibes und der Seele.
Bitte meine Grüsse an alle Familienangehörigen in Vaduz und Hohenliechtenstein [3], sowie an Herrn Hofkaplan Fetz. Lebewohl und schreibe bald Deinem Dich liebenden Bruder

Jos. Rheinberger.

München 3/9 65

Odeonsplatz 2/3 rechts.

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[1] General -Direktor L... = Generalmusikdirektor
Franz Lachners Einfluss nahm nach seiner Pensionierung ab, während Wagner seine Beziehungen zu König Ludwig II. aufzubauen begann. Für Rh. stiegen damit die Chancen, dass seine Oper "Die sieben Raben" in München angenommen werde.
[2] ...so werdet ihr wohl bald "susen" = mundartlich: so werdet ihr wohl bald vom neuen Wein trinken.
[3] Hohenliechtenstein = damals oft verwendete Bezeichnung für das Schloss Vaduz