J.G. Rheinberger erzählt seinem Bruder David die neusten geschäfliche Tätigkeiten, und beklagte sich über Richard Wagner.


Brief an seinen Bruder David
19. Mai 1865
München


Deinen und Peters Brief richtig erhalten. Ich habe mit Vergnügen daraus ersehen, dass ihr anfängt, auch an musikalischen Fragen theilzunehmen, sobald dieselben zu 'brennenden' werden. Ja, an einer solchen laboriren wir in München gegenwärtig gehörig, und das umsomehr, da der König so entschieden Partei darin genommen - er allein ist's, der die 'Zukunft' [1] festhält gegen den Willen seiner nähern und fernern Umgebung und daraus erklären sich alle weitern Konsequenzen. Wagner ist unstreitig eine geniale, aber ebenso egoistische Persönlichkeit - er lebt und denkt, als wenn das ganze Jahrhundert nur seinetwegen da wäre; wenn es nun der Zufall oder das Geschick will, dass einem solchen Künstler ein König zum Freunde wird, so kann man sich leicht erklären, dass es Feuer und Flammen setzen muss und das umsomehr, als Wagner bisher gerade in Folge seines unglücklichen Temperaments viele Kränkungen, Verläumdungen und Verfolgungen erleiden musste, und Misstrauen und Verbitterung sich seiner bemächtigten. Und nun plötzlich sieht er sich auf dem Gipfel seiner kühnsten Träume, erhält die Mittel in Fülle, seinen musikalisch reformatorischen Ideen nachhängen zu können - und das steigt ihm zu Kopfe.

Sein Freund Bülow [2] (der ausgezeichnetste Klavierspieler, den ich noch gehört) dessen persönliche Bekanntschaft ich natürlich auch gemacht, ist wagnerischer als Wagner selbst, wie es ja auch Katholiken gibt, die katholischer sind, als der Pabst selbst. Bülow ist zwar Berliner, aber seiner Richtung nach mecklenburgischer Junker, der in einem jeden Publikum nur 'Canaille' sieht - daher die famosen 'Schweinehunde'[3], welche ihm schon bittre Stunden genug eingetragen haben. Tristan und Isolde sind noch nicht gegeben worden, (das h. öffentlich - denn die Hauptprobe war auf Befehl des Königs in Kostüm und Beleuchtung vor einem geladenen Publikum - und doppelt interessant durch eine längere Ansprache Wagners.) und die Masse Fremder, welche selbst aus den fernsten Gegenden Europas kam, das Wunderwerk zu sehen, war bitter enttäuscht, die Oper nlcht zu Gehör zu bekommen. Nächsten Mittwoch nun soll die Geschichte losgehen.

Die Notiz in der Allg. Z. über unsere erste Commissionssitzung in der Conservatoriumsangelegenheit war vollständig erlogen. Nächste Woche werden wir hoffentlich damit zu Ende kommen; über die Endresultate werde ich seinerzeit getreulich berichten.

Wir hatten überhaupt einen (musikalisch) höchst belebten Winter - jedenfalls ist München jetzt der Centralpunkt der deutschen Musik; wie es aber weiter gehen soll, wissen die Götter.

Ausserdem habe ich Dir nicht viel zu berichten. Maiy ist die meiste Zeit bei Frau von Hoffnaass, wo ich auch jeden Sonntag Nachmittag und etwa noch einen Werktagabend zubringe. Meine Wohnung habe ich nun definitiv gekündigt [3], da Maly doch nicht mehr bei mir wohnt; über die heisseste Sommerzeit will Frau v. Hoffnaass in ein Meerbad - Nizza od. dergl. und Maly mitnehmen. Was ich den Sommer hindurch beginne, weiss ich noch nicht - ich habe zwar kontraktlich beim Theater vier Wochen Urlaub, die aber je nach dem auch im October ertheilt erden könnten. -

Da Peter gem schlechte Witze über mein Junggesellenthum macht, so kannst Du ihm sagen, dass stille Wasser tief seien und man nicht wissen könne, was sich noch im Laufe eines Jahres alles ereignen könnte; sapienti sat.

Und Du, ehrwürdiges Wrak eines hämorrhoidenreichen Junggesellenthums, Du David der Gerechte, sollst seiner Zeit der Erste sein, dem ich die entsprechenden Mittheilungen machen werde.

Wir hatten bier ein wunderbar schönes Frühjahr und in der letzten Zeit genügenden Regen, - hoffentlich ist es zu Hause jetzt auch besser, als wie Peter mir geschrieben. 'Sos müsstanz halt der Rhy a betz ihaloo' [4]. -

Meine Stejlung am Theater gibt gegenwärtig nicht viel zu thun und so bleibt mir hinlänglich Zeit, meine Gesundheit heuer besser zu schonen als die letzten Jabre, was aber auch höchst nothwendig war.

Wie geht es zu Hause? Sind die lieben Eltern recht wohl? Hanny (Maxentia) hat mir geschrieben in Angelegenheit einer Klosterbittschrift an König Ludwig I.; ich habe ihr sogleich geantwortet.

Theile diesen Brief auch Peter mit, weil ich diese Woche doch kaum dazu kommen werde, ihm zu antworten.

Was macht Freund Antonius malepartensis? Grüsse alle herzlichst, Vater, Mutter, Toni, Lisi und 'dia vom Schloss, d'Schwögari und s' Herminele'. Auch Herrn Hofkaplan Fetz. Im Übrigen Gott befohlen

Dein Bruder

Josef Rheinberger.

München 19.5.65.

Lieber Bruder!

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[1] "Zukunft" = Anspielung auf die "Zukunftsmusik" Richard Wagners
[2] Freund Bülow = Hans (Guido) von Bülow (1830 - 1894), Pianist und bedeutender Dirigent.
[3] "Schweinehunde" = Anspielung auf einen Vorfall, bei dem Hans von Bülow das Münchner Publikum anlässlich einer Probe zu "Tristan und Isolde" öffentlich als "Schweinehunde" bezeichnete, was zu einem Skandal führte.
[4] Meine Wohnung habe ich nun definitiv gekündigt = Rh. bezog damals eine neue Wohnung am Odeonsplatz 1 / III, während seine Schwester Amalie in der Fürstenstrasse 22 / I wohnte.