Ludwig Bischoff berichtet in der Niederrheinischen Musikzeitung über das Musikfest im Glaspalast.


Niederrheinischen Musikzeitung berichtet vom Musikfest
10. Oktober 1863, München


Der ungeheure Raum im Glas-Palaste war durch einen starken Vorhang, der die eine Hälfte des Langschiffes da, wo es das Querschiff trifft, von diesem und der anderen Hälfte abschloss, verkürzt; dennoch bildete dieser begränzte Raum mit seinen beiden über einander hinlaufenden Galerieen immer noch einen Saal, der an 10-15.000 Menschen bequem fassen konnte und in dem, einschliesslich der Mitwirkenden, auch 5-6000 anwesend waren, welche der leider schon seit Freitag herabgiessende Regen nicht gehindert hatte, zu erscheinen. An der Spitze der Zuhörer bemerkten wir den König Ludwig, der nie fehlt, wo es gilt, eine Kunstleistung anzuerkennen und zu ermuthigen, und den Prinzen Adalbert.

Die Tonbühne erhob sich am Ende des Langschiffes stufenförmig empor, gekrönt von der Orgel, einem Werke des Orgelbauers Jos. Frosch, welches besonders in seinen weichen Registern bei Begleitung der Recitative und stellenweise der Sologesänge sehr schön wirkte, in den Chören hingegen für die gewaltigen Massen in Orchester und Chor hätte kräftiger durchdringen können. Was im Übrigen den Klang überhaupt betrifft, so zeigten sich die Raum-Verhältnisse, welche natürlich ausserhalb aller akustischen Berechnung entstanden waren, doch recht günstig dafür, wiewohl freilich nicht gleich vortheilhaft an allen Punkten; namentlich war die so genannte Galerie noble keineswegs ersten Ranges für den Klang, der in der Arena des Palastes und vor Allem auf der zweiten (höchsten) Galerie ein wahrhaft pompöser und besonders für das Orchester ein mächtiger und dabei klar in seinen verschiedenen Factoren zu unterscheidender war.

Der Chor bestand den Anmeldungen nach aus zwölfhundert Mitgliedern; unter den Anwesenden mochten immerhin tausend wirklich singende Sängerinnen und Sänger sein. Der Sopran war entschieden am stärksten und mit den frischesten Stimmen besetzt; seine Einsätze und seine präcise Ausführung der prächtigen Chöre und Doppelchöre in Händel's 'Israel in Ägypten' waren höchst lobenswerth. Doch gab hierin der Alt und auch der Männerchor nichts nach, jedoch hatte man den Eindruck vom Ganzen, den auch ein markiger Einsatz der Vorgeiger und der ersten Violinen in einem grossen Orchester macht. Eine gewisse Lahmheit des Angriffes, wie man sie oft auch bei ganz guten Chorpersonalen hört, war hier nicht zu bemerken; doch dürfen wir nicht verschweigen, dass mit den hiesigen und auswärtigen Dilettanten-Vereinen auch der königliche Hofcapellen-Chor und der Hoftheater-Chor mitwirkten.

Die Ausbreitung des so zahlreich besetzten Orchesters - 100 Violinen, 40 Violen, 30 (nach dem Buche, in der That aber 38) Violoncelle, 30 Contrabässe, 8 Flöten, 6 Oboen und Clarinetten, 8 Fagotte, 12 Hörner, 6 Trompeten, 6 Posaunen und zwei Paar Pauken - was zusammen eine Masse von 265 Instrumentalisten bildete, hatte die Aufstellung des Chors etwas beeinträchtigt, indem namentlich die Tenoristen auf der einen, die Bassisten auf der anderen Seite des Orchesters zwei lange, verhältnissmässig schmale Reihen bildeten, welche durch die ganze Breite des Orchesters von einander getrennt und nicht terassenförmig hoch genug gestellt waren. Trotzdem zeigte sich bei Stellen, wo das Orchester schwieg oder nicht überreich instrumentirt war, auch die Kraft des Männerchors, besonders der Bässe. Das Concert begann den 27. September um elf Uhr Vormittags aus dem Grunde, weil der Glaspalast nicht erleuchtet werden kann und weil an demselben Abende, was bis jetzt wohl bei einem Musikfeste unerhört gewesen, im königlichen Hoftheater noch eine Oper, und zwar Mozart's 'Don Juan', zur Aufführung kam.

Das Programm bildeten Beethovens 'Sinfonia eroica' und Händel's 'Israel in Ägypten'. Die Ausführung der Sinfonie war, Alles in Allem genommen, der Glanzpunkt des ersten Festtages; wir waren etwas ungläubig, ob die Menge die Wirkung - künstlerisch genommen - vergrössern und noch mehr, ob sie die Präcision und den feineren Ausdruck, den diese herrliche Tondichtung verlangt, erreichen würde. Allein der Erfolg hat uns mit den Massen-Aufführungen ausgesöhnt. Mit Ausnahme der gleichen Viertel in den Contrabässen im Scherzo, welche allerdings trotz des sehr richtig genommenen und keineswegs übertriebenen Tempo's zuweilen ein wenig in einander schwammen, kam Alles vortrefflich deutlich heraus und oft mit wahrhaft erschütternder Wahrheit. In den ff-Kraftstellen machte das kolossale und von der ersten Violine bis zum Contrabass überaus tüchtige Geigen-Quartett die Bläser, das Blech nicht ausgenommen, fast todt, möchten wir sagen - ein Fall, der noch nie dagewesen, da es sonst gewöhnlich umgekehrt ist; wenigstens mögen die Leser aus dieser Hyperbel schliessen, dass die Klangvermählung der beiden Orchestermassen eine vollständige und gar herrliche war. Die Fortissimos im Trauermarsche, der Anritt der schweren Reiterscharen in den Bässen nach dem gewaltigen As und das Fugato machten eine ganz unbeschreibliche Wirkung. Hätten doch Berlioz, Ulibischeff und Andere, die nicht begreifen können, was dieses Fugato in dem Marsche soll, zugegen sein können, sie wüssten auf einmal, woran sie wären! Und wie schmetterten im Trio des Scherzo's die zwölf Hörner den steigenden Siegesgesang heraus! Da wusste ein Jeder, dass hier das heroische Element wieder mit strahlendem Glanze zum Vorschein kommt.

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