J.G. Rheinberger gratuliert David zu seiner neuen Stelle als Regierungssekretär und erzählt von der Arbeit an den sieben Raben.


An seinen Bruder David
1. Mai 1863, München


An den Wohllöblichen Herrn
Secretarius David Rheinberger,
so da seinen Sitz hat in Vaduz.

Wassmassen Ew. Liebden Brief mir verkündet die frohe Novität, so Ihr geworden Hochfürstl. Secretair der Residenz Vaduz, so kann ich nit unterlahn, in Anbetracht dieses Avancements eine herzliche Gratulatio losszulassen, für welchen Zweck ich eigens mein liebes Contrefei anfertigen liess, Euch männiglich zu ehren - sowie auch auf das Wohl des neu creirten Secretarii eine Halbe des echten Münchner Hofbräuhausbieres steigen wird - auf das Bachus und Gambrinus Euch den neuen Stand gesegnen. Ja! andächtig versammelter Bruder! annun fehlt Euch nichts mehr, als ein getreulich Ehegespons, auf dass der ehrsame rheinbergerliche Name in Züchten und Ehren fortgepflanzet werde in aeternum! Da wir Liechtensteiner denn doch zur Nation der Allemannen (vulgo Schwaben) gehören, welche schon mit 40 Jahren nüchternen und mündigen Geistes werden, so schickt es sich jetzt für Euch, Ehrwürdiger Bruder Secretarius! hierin mit gutem Exempel voranzugehen, auf dass Euer jüngerer Bruder, so die weise Bürde von acht Lustra noch nicht empfindet, ein lobesam Beispiel nehme, und nicht etwa auf Abwege gerathe!

Seit einem 1/4 Jahre beschäftige ich mich nur mehr mit meiner Opera, so da heisset 'Die sieben Raben'. Am Faschingsdienstag habe ich den ersten Auffzug geendet, und am Aschermittwoch den zwoten begonnen. Gegenwärtig kann ich so die Hälfte des Ganzen fertig haben. Dann, wenn die sieben (Raben, nicht Schwaben) fertig sind beginnt der Kampf mit den Komödianten und Recensenten (in deren Handwerk ich auch hie und da pfusche und Einen oder den Andern wasche, der keine Ahnung hat, dass ich den Striegel führe!!). Man treibt eben allerlei, wenn man in die Jahre kommt! Ich glaube, dass mir die sieben Raben wohl gelingen und dass ich dramatisches Talent besitze - sollte ich mich täuschen, so werde ich's noch früh genug erfahren. Wenn aber die Opera vielleicht in 1 Jahr oder anderthalben vom Stapel läuft, so muss mein Ehrw. Bruder Secretarius auch dabel sein - denn so ein Spectaculum sieht man nicht alle Tage. Den Raben zu Lieb opfere ich alle Vergnügungen und lasse gar manche Lectio absagen, um ihnen Flügel zu machen. Sollte die Opera in München gut gelingen, so werde ich nicht ermangeln, sie dem Hoftheaterintendanten (Gigönle) in Triesen einzusenden, damit der Prophet auch in seinem Vaterlande zur Geltung komme. Wenn mir die dramatische Laufbahn missglückt, bleibt mir ja immer noch die Candidatur auf den Gräken-Thron, zu welchem sich ja doch kein Liebhaber findet! So leben wir in den schönsten Aussichten!

Mali hat mir auf Weihnachten das Wappen des deutschen Michaels [1]
gestrickt. -
Ja! andächtig versammelter Bruder! Offt denke ich, wenn nur das Schicksal Dir in dem gemütlichen München eine Wohnstätte bereitet hätte, wie wollten wir den Göttern Hekatomben opfern! Aber da es nun 1mal nicht der Fall ist, so wollen wir uns doch hie und da mit Schreiben vergnügen, um so mehr, als die Erbsünde uns alle vergnügten Stunden zu rauben droht. Lasse Dir aber kein graues Härlein wachsen, bevor Deine Hämorhoiden ihr halbes Secularfest feiern, oder bis Du zum wenigsten 'Onkel David' gescholten werden kannst (was auch ein eigenthümliches Vergnügen sein mag.) Den Bruder Petrum lasse ich grüssen - ihm werde ich zunächst schreiben, dieweil ich ihm Responsum schuldig bin. Das Lisi lasse ich auch grüssen, dieweil es mir einen Brief voll Neuigkeiten geschrieben. Ich hätte ihm schon geantwortet, aber meine 7 Raben nehmen alle freie Zeit in Anspruch. Die lieben Eltern sind hoffentlich in bester Gesundheit, sowie auch Meister Antonius, mit dem ich seit zwei Jahren im 'heftigsten' Briefwechsel bin.

Nun Lebewohl! Alter Knabe!

Sei allen ein gnädiger Secretär und werde nicht hochmuthig - es grüsst Dich
Dein siebenfacher Rabenvater' !!!!!!!!
München St. Wilburgi-Tag [2] anno domini 1000,800,60 und 3 Nix für ungut!

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[1] Wappen des deutschen Michels = eine Schlafmütze
[2] St. Wilburgi-Tag = vermutlich 1. Mai (Walburga)