Vorlage des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung zum Referendum am 22. November 1931


Referendumsvorlage betreffend das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung [1]

August 1931

Referendumsvorlage

Liechtensteinisches Landes-Gesetzblatt

Jahrgang 1931

Nr. ...

Ausgegeben am ...

Gesetz vom ... über die Arbeitslosen-Versicherung

1. Schaffung der Kasse

Art. 1

Zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen vorübergehender unverschuldeter Arbeitslosigkeit wird durch das Land und die Gemeinden unselbständig erwerbenden Personen durch Errichtung einer Arbeitslosenkasse Beihilfe gewährt.

2. Mitgliedschaft

Art. 2

Mitglieder der Kasse müssen alle nicht in Art. 3 besonders aufgeführten, im Lande wohnenden, über 16 Jahre alten, voll arbeitsfähigen männlichen und weiblichen Angestellten und Arbeiter werden, welche das 60. Altersjahr nicht überschritten haben, Liechtensteiner oder Bürger eines Staates sind, der Gegenrecht bietet und einer regelmässigen Erwerbstätigkeit im Lande oder zeitweise ausser Landes (Saisonarbeiter) obliegen, soferne sie

a) seit mindestens 6 Wochen im Lande niedergelassen sind, oder

b) mindestens 2 Monate im Lande in Arbeit gestanden sind.

Doppelversicherung ist nicht gestattet.

Art. 3

Nicht verpflichtet, aber berechtigt der Arbeitslosenkasse beizutreten sind:

a) die im Hotel- und Gastgewerbe Beschäftigten,

b) die in der Haus- und Landwirtschaft Bediensteten,

c) Angestellte und Arbeiter in fester Stellung bei öffentlichen Verwaltungen und Betrieben,

d) im väterlichen Haushalte lebende Bauernsöhne, für deren Unterhalt im Notfalle von Arbeitslosigkeit sich der Vater aufzukommen verpflichtet,

e) die Lehrlinge,

f) diejenigen unselbständig tätigen Personen, deren regelmässiges Erwerbseinkommen, soferne sie verheiratet sind, Fr. 4000.-, soferne sie ledig sind, Fr. 3000.- per Jahr übersteigt oder die ein Vermögen von über Fr. 10'000.- besitzen.

4. Verwaltung

Art. 4

Die Arbeitslosenkasse bildet einen selbständigen Zweig der Landesverwaltung. Jede Gemeinde bildet eine Zweigstelle der Arbeitslosenkasse.

a) Landesverwaltung

Art. 5

Die Verwaltung der Arbeitslosenkasse wird von einer Verwaltungskommission besorgt. Diese besteht aus fünf vom Landtage auf die Dauer von 3 Jahren gewählten Mitgliedern und fünf Ersatzmännern, von denen je zwei aus den Reihen der Versicherten zu entnehmen sind. Die Versicherten können Wahlvorschläge einbringen. Der Landtag bezeichnet bei der Wahl der Verwaltungskommission den Vorsitzenden.

Art. 6

Der Verwaltungskommission fallen folgende Geschäfte zu:

1. Überwachung der Durchführung dieses Gesetzes und der Durchführungsbestimmungen,

2. Entscheidung über Beschwerden jeder Art gegen Beschlüsse der Zweigstellen,

3. Überwachung der Kassagebarung und Prüfung und Genehmigung der Jahresrechnungen der Zweigstellen,

4. Vierteljährliche Berichterstattung an die fürstliche Regierung zu Handen des Landtages über den Stand der Kasse, deren Inanspruchnahme und die allgemeinen Auswirkungen dieses Gesetzes,

5. Erteilung von Instruktionen zur Durchführung dieses Gesetzes an die lokalen Zweigstellen,

6. Erstattung von Vorschlägen an die fürstliche Regierung über Änderungen dieses Gesetzes, Erlassung von Durchführungsbestimmungen, Abbestellung von Missständen u. dgl.

Die fürstliche Regierung kann der Verwaltungskommission nach Bedarf weitere Befugnisse und Geschäfte zuteilen.

Art. 7

Gegen Beschlüsse und Entscheidungen der Verwaltungskommission ist binnen 14 Tagen Beschwerde an die fürstliche Regierung zulässig, welche letztinstanzlich entscheidet.

b) Gemeindestellen

Art. 8

Jeder Gemeinde als Zweigstelle der Arbeitslosenkasse fällt die unmittelbare Durchführung dieses Gesetzes und der Durchführungsbestimmungen zu.

Dem Ortsvorsteher sind folgende Geschäfte überbunden:

1. Er nimmt Anzeigen für Ein- und Austritt von Mitgliedern entgegen.

2. Er nimmt die Anzeigen über eingetretene Arbeitslosigkeit entgegen, prüft sie und zieht die notwendigen Informationen ein. Unter Mitwirkung des Arbeitsamtes über er die nötige Kontrolle über die angemeldeten Arbeitslosen ein.

3. Er führt ein Kassabuch für Einnahmen und Ausgaben, ein Mitgliederverzeichnis und ein Kontrollbuch über Unterstützungsauszahlungen.

4. Er fertigt die jährlichen Abrechnungen und unterbreitet sie dem Gemeinderate und dieser der Verwaltungskommission zur Prüfung und Genehmigung.

5. Er hält sich in ständiger Verbindung mit dem Arbeitsamte behufs Arbeitsanweisung und angemeldete arbeitslose Kassenmitglieder.

6. Er besorgt die Auszahlung der festgesetzten Unterstützungsgelder an die Bezugsberechtigten.

5. Beitritt

Art. 9

Der Versicherungspflichtige hat beim Eintritt in die Arbeitslosenkasse dem Ortsvorsteher das vorgeschriebene Anmeldeformular genau und wahrheitsgetreu auszufüllen. Gleichzeitig sind über Verlangen des Ortsvorstehers die Personaldokumente, die amtlichen Ausweise über Niederlassung, Aufenthalt usw. vorzulegen, sowie ein Ausweis über Art und Dauer des bisherigen Arbeitsverhältnisses.

Als Eintrittsdatum gilt der erste Tag desjenigen Monats, für welchen der erste Beitrag gezahlt wird.

Beim Eintritte wird dem Mitgliede das Mitgliedsbuch samt diesem Gesetz ausgehändigt.

6. Austritt

Art. 10

Die Mitgliedschaft und alle Rechte mit ihr an der Kasse erlöschen durch den Tod, Aufgabe des Wohnsitzes im Lande, Eintritt gänzlicher Invalidität oder erheblicher bleibender Verminderung der Arbeitsfähigkeit. Beim Ausscheiden aus der Kasse sind die verfallenen Beiträge zu entrichten.

Freiwillige Versicherte können nach Erfüllung ihrer Verpflichtungen an die Kasse jederzeit austreten.

Die Mitglieder, die aus dem Lande weggezogen sind, müssen bzw. können nach ihrer Rückkehr sofort wieder eintreten, sofern ihre Abwesenheit nicht länger als 1 Jahr gedauert hat. Haben solche Mitglieder vor ihrem Wegzuge aus dem Land der Kassa drei Jahre angehört und innert dieser Frist keine Taggelder bezogen, so erlangen sie die Bezugsberechtigung schon nach drei Monate[n] nach ihrem Wiedereintritte.

7. Mitgliedsbeitrag

Art. 11

Die Versicherten haben monatliche Beiträge an die Kassa zu entrichten.

Die gesamten Mitgliedsbeiträge an die Kassa müssen während eines Jahres in der Regel mindestens 30 Prozent der während dieser Zeit ausbezahlten Gesamttaggelder ausmachen.

Der Monatsbeitrag der Versicherten beträgt Franken 2,60. Erreichen die Monatsbeiträge während eines Jahres nicht insgesamt 30 Prozent der in diesem Zeitraume ausbezahlten Gesamttaggelder, so kann der Monatsbeitrag bis auf Fr. 3.50 erhöht werden.

Die Beiträge sind unaufgefordert bis Ende des Monats einzubezahlen und sind während der ganzen Dauer der Mitgliedschaft auch bei Krankheit und Unfällen laufend zu entrichten.

8. Unterstützung - Anmeldung

Art. 12

Der arbeitslos gewordene Versicherte hat sich unter Vorweisung seines Mitgliedbuches und eines Ausweises des letzten Arbeitgebers über die Ursache der Arbeitslosigkeit beim Ortsvorsteher seines Wohnortes zu melden.

Art. 13

Vor Ausrichtung des Taggeldes und während der Dauer der Bezugsberechtigung ist jedes Mitglied verpflichtet, sich beim Gemeindevorsteher als Arbeitssuchender einschreiben zu lassen. Er hat täglich zu der ihm bezeichneten Zeit beim Vorsteher zur Kontrolle zu erscheinen. Nichterfüllung der Kontrollvorschriften zieht den Entzug des Taggeldes nach sich.

Der Arbeitslose ist gemäss Art. 2 lit. d gehalten, ihm zugewiesene Arbeit anzunehmen, auch solche ausserhalb seines Berufes. Es darf ihm jedoch nicht zugemutet werden, in Betrieben Arbeit anzunehmen, die die ortsüblichen Arbeitsbedingungen nicht innehalten oder bei denen ein Streik oder Aussperrung anhängig ist.

b) Arbeitspflicht

Art. 14

Arbeitslose Versicherte sind, wenn nicht stichhaltige Gegengründe bestehen, gegen Gewährung eines einmaligen Taggeldes zur Annahme auswärtiger Arbeitsgelegenheit verpflichet.

Die Mitglieder sind verpflichtet, alle Veränderungen, welche ihr Verhältnis zur Arbeitslosenkasse beeinflussen, wahrheitsgetreu anzuzeigen.

c) Taggeld

Art. 15

Versicherte, die seit wenigstens 365 Tagen der Kasse angehören und allen Verpflichtungen nachgekommen sind, haben im Falle unverschuldeter Arbeitslosigkeit Anspruch auf ein Taggeld von Fr. 3.-. Die Auszahlung erfolgt in bar zweimal per Monat und ist in der Regel vom Versicherten persönlich entgegen zu nehmen.

Die Versicherungskasse darf nur die laufenden Beiträge und diejenigen des letzten Monats vor Beginn der Arbeitslosigkeit mit dem Taggeld in Verrechnung bringen.

In Betracht fallen nur Auszahlungen an Mitglieder, die zur Zeit des Bezuges im Lande wohnen.

Art. 16

Die Berechtigung zum Bezuge des Taggeldes beginnt mit dem zweiten Werktage nach Anmeldung der eingetretenen Arbeitslosigkeit und erstreckt sich für Verheiratete und Familienvorständeauf 40 Tage, für Ledige auf 30 Tage, und kann innert Jahresfrist nur einmal bezogen werden. Sind aus der gleichen Familie mehrere versichert, so kommt jedoch nur eine Person als Familienvorstand in Betracht. Die Taggelder dürfen nicht gepfändet werden. Für Sonntage und staatlich anerkannte Feiertage wird kein Taggeld gewährt.

An erkrankte Arbeitslose fällt der Bezug von Taggeldern dahin.

e) Ausnahmen

Art. 17

Taggelder an Arbeitslose dürfen nur ausgerichtet werden, wenn die Arbeitslosigkeit unverschuldet und der Arbeitslose arbeitsfähig und arbeitswillig ist.

Die Ausrichtung von Taggeldern darf nicht erfolgen:

a) Wenn der Arbeitslose eine Stelle ohne triftige Gründe verlassen hat;

b) wenn er wegen böswilligen oder grob fahrlässigen Verhaltens, wegen Arbeitsverweigerung oder Verstossens gegen die Arbeitsordnung oder gegen den Arbeitsvertrag entlassen worden ist;

c) wenn der Arbeitslose eine ihm angebotene, seinen Kräften angemessene und die spätere Wiederausübung seines Berufes nicht beeinträchtigende Arbeit ausschlägt;

d) wenn der Arbeitslose wissentlich falsche Angaben über Verhältnisse macht, von denen Bezugsberechtigung oder Höhe des Taggeldes abhängen;

e) wenn er die Kontrollvorschriften nicht erfüllt;

f) wenn die Arbeitslosigkeit die Folge von kollektiven Arbeitskonflikten ist, für die Dauer des Konfliktes und die folgenden 30 Tage;

g) während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit die Folge von Krankheit, Unfall oder Invalidität ist.

9. Strafen

Art. 18

Versicherte, die mit ihren Beitragsleistungen an die Kasse durch drei Monate im Rückstande sind, verlieren ihren Anspruch an die Kasse. Versicherte, die ihren Pflichten gegen die Kasse sonstwie nicht erfüllen oder die Kasse durch wissentlich falsche Angaben oder sonstwie schädigen oder Doppelversicherte können mit einer Busse bis zu 100 Franken belegt oder bis auf die Dauer von 12 Monaten von der Bezugsberechtigung ausgeschlossen werden. Ausserdem haben sie allenfalls zu Unrecht bezogene Taggelder zurückzuersetzen.

Über Busse und Ausschluss und einen späteren Wiedereintritt entscheidet die Verwaltungskommission, gegen deren Entscheid binnen 14 Tagen Beschwerde an die Regierung zulässig ist.

Vorbehalten bleibt die strafgerichtliche Verfolgung wegen Betruges zum Schaden der Kasse.

10. Beiträge des Landes und der Gemeinde

Art. 19

Das Land übernimmt die Einrichtungskosten der Arbeitslosenkasse. Der nach Abzug der Mitgliedsbeiträge, allfälliger Bussen und Zinserträgnisse verbleibende Überschuss der Ausgaben über die Einnahmen wird gedeckt:

a) zu 3/4 durch die Zuwendungen des Landes;

b) zu 1/4 durch Beiträge der Gemeinden für die in ihrer Gemeinde wohnhaften Arbeitslosen.

11. Schluss- und Übergangsbestimmungen

Art. 20

Die Regierung erlässt die erforderlichen Durchführungsbestimmungen.

Art. 21

Bei Auflösung der Arbeitslosenkasse fallen die Mittel der Kasse der Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung zu.

Art. 22

Der Landtag beschliesst gemäss Art. 30, 1. Abs a) des Gesetzes vom 31. August 1922 Nr. 28 betr. die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten, dass dieses Gesetz der Volksabstimmung unterliegt.

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[1] LI LA RF 118/137/093. Der Landtag stimmte dem Gesetz über die Arbeitslosenversicherung am 1. September 1931 einstimmig zu. Das Volk jedoch verwarf das Gesetz im Referendum vom 22. November 1931 mit 653 Ja- zu 1152 Nein-Stimmen.