Das "Liechtensteiner Volksblatt" verurteilt die "masslose Hetze" der angeblich nicht im liechtensteinischen Volk verankerten "Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein" bzw. des "Umbruches"


Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt", nicht gez. [1]

8.8.1942

Liechtenstein, gestern, heute und morgen

(*) Die "ehrliche und anständige Basis", die nach dem Umbruchkonzept von Liechtenstein verfasst worden ist, hat's mir doch angetan. Wir sind faustdicke Auftragungen mit dem Fixativ der lästerlichsten Verzerrungen längst gewöhnt, sind aber noch nicht gesonnen, unser Vaterland derart beschimpfen zu lassen. Eingangs dürfte auch einer Volksmeinung hier Platz gegeben sein, nämlich, dass die längst fällige Quittierung des Staatsdienstes vorgenommen würde, die mit ihrem Brotgeber so gar nicht zufrieden sind. Ein anständiger Mensch nimmt Gelder eines Brotgebers, der die "ehrliche und anständige" Basis verlassen hat, nicht entgegen.

Liechtenstein ist von Geburt her nicht reich, was es je besass, musste es erschaffen, erringen. Rhein und Rüfe sind an seiner Wiege Pate gestanden, ein freiheitsliebendes Völklein stählte seine Kraft auf dieser hergeschwemmten und ständig bedrohten Scholle. Die Vorsehung schenkte ihm einen Fürsten, es zeigt sich dankbar für diese gütige Fügung. Ein Blick in vordere Zeiten aber sagt einem jeden, wie gross u. entbehrungsreich der Kampf dieses Volkes war. Endlich verlor es in einer Inflationszeit ein grosses Vermögen und es stand mit leeren Händen vor einer mit Wasser bedrohten Ebene, die es ernähren sollte. Aber es fiel ihm nicht ein, nach aussen zu schielen. Selbst wollte es sein, aus eigener Kraft wollte es die Scholle unter seinen Füssen schützen. Der wirtschaftliche Anschluss an einen neutralen Staat, seine Lage, die landschaftlichen Schönheiten und nicht zuletzt sein politisches Arrangement liessen das Land Freunde gewinnen. Die Einnahmen stiegen und flossen zum grossen Teil in den Entwässerungsbau, dessen Werk uns heute nährt, uns und die, die die Basis nicht ehrlich und anständig finden mit samt den volkswirtschaftlichen Stümpern und politischen Schiebern.

Gott, das Liechtenstein von heute will ihnen gar nicht gefallen! Es sollte ihnen mehr dienstbar sein. Dieses Volk hat rein gar kein Verständnis für eine abgehorchte Ideenwelt, mit der sie der demokratischen Unmoderne das Lebenslicht ausblasen möchten. Denn diese reaktionäre demokratische Ideenwelt mit ihrer Undiszipliniertheit hat doch vollständig versagt? Warum denn dieser Widerstand, das Beharren auf der "unehrlichen u. unanständigen" Basis? Gemach, das Liechtenstein von heute hat sich ohne Wehr und Waffen doch Achtung errungen im Völkerkonzert. Es wird wachen Auges auf die Gemeinschaft achten, die es zu betreuen hat und aus Eigenem die Korrekturen vornehmen, die es für nötig hält. Das Liechtensteiner Volk hat viel mehr Empfinden für Ehrlichkeit und Anständigkeit als ihm aufgeplusterte Neulinge zuzutrauen vermögen. Sie übersehen in ihrem Wahn die innere Einstellung des Volkes, von der heute noch alles abhängt. Ein Armutszeugnis für die Neuerer ist es, wenn sie macht- und kraftlos dieser inneren Einstellung gegenüberstehen. Es ist dumm, sie sind leider nicht Freunde des Plebiszites, sonst könnten sie's einmal mit diesem versuchen.

Der Liechtensteiner aber weiss, dass die Erhaltung des Staates vom täglich neuen Plebiszit abhängt, er will sein Land so haben, wie es gestern war und wie es heute ist. Er unternimmt alle Anstrengungen, um die Fährnisse des Krieges zu überdauern. Wir stehen am Ende des dritten Kriegsjahres. Der Krieg ist mehr in die Ferne gerückt, aber die Wirtschaft wird immer mehr in Mitleidenschaft gezogen und die Nahrungsmittel werden knapper. Aber all das vermag den Willen zum Durchhalten nicht zu schwächen, weil der Liechtensteiner sein Land so erhalten will, wie es heute ist und weil er es so liebt und an ihm hängt. Also ist hier nichts zu wollen und es wird sich - nach all dem Vorausgegangenen zu schliessen - im Konzeptheft des "Umbruchs" noch manche Seite füllen.

Gegen wen? Die Herren vom "Umbruch" schreiben es selber bei verschiedenen Gelegenheiten: gegen die in Liechtenstein geltende Gesellschaftsordnung, gegen verfassunsgrechtliche Grundlagen und damit gegen den Staat. Von anderen Dingen, die in dieser Ära schon geboren worden sind, wollen wir ganz schweigen. Wir lassen uns aber die masslose Hetze und die ständige Unterwühlung unserer in Verfassung, Gesetz und Tradition verankerten rechtlichen Grundlagen unseres Staates weiter nicht mehr bieten. Es geht nicht an, dass mit der Freiheit, die unsere Verfassung dem Bürger bietet, die Freiheit gebodigt werden soll. Diese demokratischen Freiheitsrechte, die im "Umbruch" ständig geschmäht und verhöhnt werden, werden trotz des Gesetzes zum Schutz des Staates [2] zur Mordwaffe gegen diese, in der Verfassung garantierten Freiheitsrechte. Entsetzlich nimmt sich die Verknüpfung ihres Kampfes gegen die Freiheit mit dem gegen das Judentum aus. Die wenigen in Liechtenstein derzeit Asyl habenden Juden haben weder auf die Führung der Wirtschaft und der Politik den geringsten Einfluss. Wenn aber die Verknüpfung Judentum, Gesellschaftsformen in der Wirtschaft und schliesslich die ausserordentlichen Einnahmen des Landes in einem Atemzug gebraucht werden, weiss der Liechtensteiner nur zu sehr Bescheid. Aber es ist Zeit, dass diese masslose Hetze in den verschiedensten Variationen wegen der aussenpolitischen Schädigungen nun endlich doch zum Schweigen kommt. Mit Kritik hat so etwas nichts mehr gemein.

Der Liechtensteiner weiss, dass temporäre Einschränkungen der Freiheitsrechte ertragen werden müssen. Er nimmt dies gerne hin, er findet dies in Kriegsnotzeiten als selbstverständlich. Einer gewissen Partie von Leuten hingegen soll das Extremste gestattet sein. Sie reizt in der öffentlichen Presse auf zum Hass gegen einzelne Bevölkerungsgruppen, die sie "Schwarze" und "Reaktionäre" zu benennen beliebt. Wenn ein Liechtensteiner, sei es auf der Strasse, in der Gastwirtschaft, in der Schule oder in der Kirche, im Verein oder anderswo für sein Vaterland spricht, wird er masslos verlästert.

Noch darf ich die neuesten Schutzmassnahmen gegen Umtriebe gegen den Staat in der Schweiz kurz streifen. Allein öffentliches Aufreizen zum Hass gegen einzelne Bevölkerungsgruppen ist im Erlass über den Schutz der Demokratie mit Busse und Haft bis zu 3 Monaten bedroht. [3] Zum Mittel der Aufreizung rechneten wir auch die unwahren oder entstellenden Behauptungen. Und davon strotzt es geradezu in einzelnen, in letzter Zeit erschienenen Nummern des "Umbruchs".

Man lasse nun endlich die Hände von allem, was dem Lande und dem Volke schaden könnte. Liechtenstein will sich auf dem ehrlichen und anständigen Piedestal [4], das es sich in langer Geschichte errungen hat, den Krieg durchhalten, es will morgen das gleiche Liechtenstein sein, das es gestern gewesen und heute ist.

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[1] L.Vo., Nr. 91, 8.8.1942, S. 1. Vgl. L.Vo., Nr. 89, 4.8.1942, S. 1 ("Feststellungen") (mit weiteren Verweisen), wo die Berichterstattung des "Umbruchs" kritisiert wurde, derzufolge Juden in Liechtenstein gegen Deutschland Spionage betrieben hätten. Der zwischen 1940 und 1943 erscheinende "Umbruch" war das Organ der "Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL)".
[2] Siehe das Gesetz vom 17.3.1937 betreffend den Schutz der Sicherheit des Landes und seiner Bewohner, LGBl. 1937 Nr. 3. Vgl. das Gesetz vom 30.5.1933 betreffend die Erteilung besonderer Vollmachten an die Regierung, LGBl. 1933 Nr. 8. Vgl. ferner das Verfassungsgesetz vom 2.9.1939 betreffend Bevollmächtigung der Regierung zur Anordnung kriegswirtschaftlicher Massnahmen, LGBl. 1939 Nr. 13.
[3] Siehe die vom Schweizer Bundesrat am 5.12.1938 beschlossenen "Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie".  
[4] Piedestal: oder Postament, ein aufwendig gestalteter Sockel.