Joseph Schreieder schildert rückblickend den Anschlussputsch


Rückblickende Aufzeichnungen von Joseph Schreieder, ehemaliger Grenzpolizeikommissar in Bregenz [1]

17.6.1968, München

Der Putschversuch Liechtenstein

Die Schilderung des fast dreissig Jahre zurückliegenden Unternehmens allein würde einer Projektion in den leeren Raum gleichen und Fragen offen lassen. Ich darf daher in kurzen Zügen die Ereignisse und Gegebenheiten vergegenwärtigen, die von meiner Sicht aus zu dem Unternehmen führten und den Hintergrund bildeten, vor dem die Akteure handelten.

Am 12. März 1938 zogen deutsche Truppen in Österreich ein; die Machtübernahme durch die österreichischen Nationalsozialisten hatte bereits in den Abendstunden des 11. März begonnen. [2] Am 13. März 1938 wurde der Anschluss Österreichs an das Reich verkündet. Die Westmächte nahmen diese vollendete Tatsache hin.

Am 14. März begann ich mit der Verlegung meines Grenzpolizeikommissariats von Lindau nach Vorarlberg und dem Aufbau der Grenzkontrollstellen, wie es der nunmehrige Grenzverlauf erforderte. Die Aufnahme der grenzpolizeilichen Tätigkeit verzögerte sich, da mit der Machtübernahme Vorarlberger SS, auch SA, den Reiseverkehr kontrollierte. Dies geschah auf Weisung eines Sturmbannführers der Vorarlberger SS, der als Sicherheitsdirektor in Bregenz sass und auch im Innern Vorarlbergs eine Verhaftungswelle ausgelöst hatte.

Als meinen Dienstsitz wählte ich vorerst Feldkirch. So kam ich in engeren Kontakt mit dem Regierungschef von Liechtenstein, Dr. [Josef] Hoop. Schon damals sprachen wir auch über Gerüchte, die von einem Anschluss Liechtensteins wissen wollten. Wie meine Nachforschungen jeweils ergaben, waren sie allemal auf Gespräche zwischen Angehörigen Vorarlberger, vor allem Feldkircher NS-Formationen und Liechtensteiner Nationalsozialisten zurückzuführen. Man kritisierte den versäumten Anschluss im Zuge der Machtübernahme vor dem Eintreffen der Deutschen und erging sich in Versprechungen, dies nachzuholen. Es geschah aber nichts. Nach Wochen gab der Vorarlberger SS-Sturmbannführer auf höheren Befehl seine Funktion als Sicherheitsdirektor auf. Ich verlegte meine Dienststelle, das Grenzpolizeikommissariat, nach Bregenz und übernahm die vom Sicherheitsdirektor bzw. auf seine Weisung Verhafteten zur Prüfung der Haftfrage, soweit ich die Übernahme grenzpolizeilich und vom Standpunkt der Spionageabwehr aus begründen konnte. Die Übrigen übernahm die Staatspolizeistelle Innsbruck. So absurd es heute klingen mag; zahlreiche Nationalsozialisten haben seinerzeit meinen Beamten erklärt, sie hätten mit Erleichterung von der Übernahme der Verhafteten durch die deutsche Grenzpolizei und der Beendigung der willkürlichen Verhaftungen vernommen.

Für die Vorarlberger Nationalsozialisten begann der Kampf um die Anerkennung Vorarlbergs als Gau.

Schon in den letzten Apriltagen 1938 wirkte sich der Anschluss Österreichs auf die Sudetendeutschen aus; er gab ihnen neuen Auftrieb. Die Spannungen im Sudetenland steigerten sich, die Nervosität bei den europäischen Staaten wuchs. Im September 1938 trieb die Krise ihrem Höhepunkt zu, auch Erregung und Spannung in der deutschen Bevölkerung. Wie reagieren die Westmächte?

Die deutsche Propaganda lief auf Hochtouren; auf dem Nürnberger Parteitag drohte [Adolf] Hitler mit einer Intervention im Sudetenland, der Sudetendeutsche [Konrad] Henlein verkündete die Parole "Heim ins Reich!"

Am 15. September 1938 erklärte sich der englische Premierminister [Neville] Chamberlain in Berchtesgaden bereit, der Tschechoslowakei die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete nahezulegen. Die Tschechoslowakei sah sich von den Westmächten verlassen und unterwarf sich den britisch/französischen Vorschlägen. Bei Chamberlains Besuch am 22. September in Bad Godesberg forderte Hitler die Übergabe der sudetendeutschen Gebiete für den 1. Oktober 1938. Am 29. September kam das "Münchner Abkommen" zustande. Am 1. Oktober 1938 marschierten deutsche Truppen in die sudetendeutschen Gebiete ein.

Am 14. März 1939 erklärte der slowakische Landtag die Souveränität und stellte die Slowakei unter den Schutz des Deutschen Reiches. Am 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen in die Resttschechei; am 16. März 1939 proklamierte Hitler von der Prager Burg das "Protektorat Böhmen und Mähren".

Die Westmächte nahmen auch diese vollendeten Tatsachen hin.

Schon seit Monaten wurden in Reden, Presse und Rundfunk Forderungen an Polen wegen Danzig, an Litauen wegen des Memellandes gestellt. Die Redner, die Kommentatoren prangerten den Einmarsch litauischer Freischaren Anfang Januar 1923, im Schatten der französischen Ruhrinvasion, in das Memelland und seine Besetzung an; ebenso das Verhalten des Völkerbundes, der sich dem vollzogenen Gewaltakt gefügt hatte. Die Reden gegen Litauen wurden immer deutlicher, die Propaganda heftiger. Am 22. März 1939 gab Litauen das Memelland an das Deutsche Reich zurück. Deutsche Truppen zogen ein.

Die Grossmächte fanden sich wieder mit vollendeten Tatsachen ab.

Die Nervosität und Spannung der Masse löste sich in jubelnde Kundgebungen, Veranstaltungen und Aufmärsche mit Fahnen, Glockengeläute, Musik und Gesängen auf; auch in Vorarlberg. Überall Hochstimmung, das Bewusstsein der Stärke, der Macht, die Gewissheit der Unbezwingbarkeit, immer wieder eingehämmert durch eine aufpeitschende Propaganda unter Hinweis auf Nonaktivität der Westmächte.

Das war – so wie ich es sah und sehe – der Hintergrund vor dem der "Putschversuch Liechtenstein" ablief, die Atmosphäre, in der es zu diesem Entschluss kam.

Mit Ausnahme einiger Eintragungen in meinem Taschenkalender 1939 ist meine folgende Darstellung eine Wiedergabe aus der Erinnerung. Namen sind mir nicht mehr gegenwärtig.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Freitag 24. März "Liechtenstein – Putsch –".

Wenn ich mich recht erinnere, besuchte mich an diesem Tag oder kurz vorher in Bregenz der Regierungschef von Liechtenstein, Dr. Hoop. Wie bei unseren häufigen Besprechungen üblich, hatte er seinen Besuch angemeldet, aber betont, er müsse mich wegen einer äusserst wichtigen und ebenso vertraulichen Sache sprechen. In der Unterredung erklärte er, er habe eine zuverlässige Information erhalten, wonach die Vorarlberger SA beabsichtige, in Liechtenstein einzumarschieren, es zu besetzen und damit den "Anschluss" an das Reich zu vollziehen. Die Liechtensteiner Nationalsozialisten würden sich an diesem Putsch beteiligen. Auf meine Frage, ob es sich nicht um die alten Gerüchte handle, die immer wieder auftauchen, versicherte Dr. Hoop, die ihm zugegangene Information sei wirklich ernst zu nehmen. Nach meiner Erinnerung war als Zeitpunkt des Putsches das auf den Besuch von Dr. Hoop folgende Wochenende bestimmt, also der 25. März, d.h. die Nacht vom Samstag, den 25. März auf Sonntag, den 26. März.

Es ist mir nicht mehr gegenwärtig, warum ich unter dem Freitag, 24. März, "Liechtenstein - Putsch –" vorgetragen habe. War Dr. Hoop an diesem Tag bei mir oder sollte in der Nacht vom 24. auf 25. März der Putsch stattfinden? Bei der Unterredung vereinbarte ich mit Dr. Hoop, der Sache sofort nachzugehen und, sollte die Information tatsächlich zutreffen, den geplanten Putsch zu verhindern; über den Verlauf meiner Erhebungen und Massnahmen werde er unterrichtet.

Unmittelbar nach der Unterredung begann ich mit den vertraulichen Ermittlungen. Infolge der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit und der erforderlichen Vorsicht bei der Durchführung bekam ich kein klares Bild.

Für die Nacht, in der der Putsch stattfinden sollte, ordnete ich eine Grenzsperre an mit dem Auftrag, Uniformierte, gleichgültig ob einzeln oder in Formation, ohne Rücksicht auf behauptete oder vorgelegte schriftliche Befehle am Grenzübertritt nach Liechtenstein oder in die Schweiz zu hindern und in ihre Appellunterkünfte zurückzuführen. Die verantwortlichen Führer seien voneinander zu trennen und so unter Bewachung zu halten, dass sie bis zu den Vernehmungen keine Absprachen treffen und somit nichts verdunkeln können. Bei Widerstand sei mit formellen vorläufigen Festnahmen vorzugehen.

Rechtsgrundlage war für mich eine Weisung aus Berlin, die schon längere Zeit bestand, wonach Uniformierten das Überschreiten der Reichsgrenze ins Ausland verboten war.

Nach Einbruch der Dunkelheit marschierten uniformierte SA und HJ in verschiedenen Zeitabständen grüppchenweise an die Grenze, um in Liechtenstein "Besuch zu machen". Meine Beamten handelten weisungsgemäss; die Gruppen mussten in ihre Appellunterkünfte zurück, die verantwortlichen Führer wurden voneinander getrennt.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Sonntag, 26. März "Vernehmung i. F'kirch".

Aus diesem Eintrag folgere ich, dass der Putsch für die Nacht auf Sonntag, den 26. März 1939 geplant und der "Einmarsch nach Liechtenstein" in den späten Abendstunden des Samstags versucht worden war.

Am Sonntag, den 26. März früh sechs Uhr fuhr ich mit mehreren Beamten von Bregenz nach Feldkirch zur Durchführung der Vernehmung. Deren Ziel war die Klärung des Sachverhalts hinsichtlich der verantwortlichen Personen, der Teilnehmer und der Planung.

Im nunmehrigen Stadium meiner Aktion musste ich auch meiner vorgesetzten Dienststelle in Innsbruck umgehend berichten, um einer Meldung von dritter Seite an die Gauleitung oder eine sonstige Dienststelle der Partei bzw. der Formationen zuvorzukommen. Zudem durfte ich die SA- und HJ-Angehörigen nicht länger anhalten, als ich dies mit der "Klärung des Sachverhalts" begründen konnte. Die Männer standen in ihren Appellokalen umher. Die Führer – nach meiner Erinnerung keine sehr hohen Dienstgrade – befanden sich einzeln unter Bewachung meiner Beamten, ich liess sie nicht im Gefängnis verwahren, was schon wegen der kurzen Zeit nicht erforderlich war. Ein Teil der Beamten vernahm in den Appellokalen, ein Beamter hatte im Gefängnis die Führer zu vernehmen. Diese wurden ihm, entsprechend seinen Anordnungen, nacheinander vorgeführt. Es dürften etwa zehn Vorführungen gewesen sein.

Die Vorgeführten verhehlten nicht ihre Niedergeschlagenheit, ihre grosse Enttäuschung, über die Vereitelung des Einmarsches und ihre Empörung, dass die Grenzpolizei, die deutsche Grenzpolizei, den Einmarsch verhinderte, unmöglich machte, dazu noch die Führer einzeln bewacht, ins Gefängnis vorführen lässt, um sie dort einer Vernehmung zu unterziehen. Diese Wirkung, diese Haltung, hatte ich vorausgesehen und deshalb mit den Vernehmungen einen Beamten beauftragt, dessen ruhige, besonnene Vernehmungstaktik ich sehr schätzte.

Die Vernehmungen ergaben folgendes:

Die Vorarlberger SA- und HJ-Angehörigen hatten mit Liechtensteiner Nationalsozialisten enge Beziehungen, die zum Teil schon aus der österreichischen illegalen Zeit stammten. Seit dem Anschluss war es zwischen Liechtenstein und Vorarlberg ein dauerndes Hin und Her. In Liechtenstein fanden gemeinsame Aussprachen statt, in Vorarlberg nahmen Liechtensteiner an Zusammenkünften, Kundgebungen und sonstigen Veranstaltungen teil. Das Hauptthema war immer wieder der Anschluss Liechtensteins. Liechtensteiner und Vorarlberger waren sich in der Auffassung einig, es sei versäumt worden, mit der Machtergreifung in Österreich vor dem Eintreffen der Deutschen auch Liechtenstein "anzuschliessen". Der Anschluss des Sudetenlandes, der Einmarsch in die Resttschechei, waren wiederum Anlass zu Gesprächen, wie der Anschluss Liechtensteins nachgeholt werden könnte. Dabei fehlte es nicht an Hinweisen auf das passive Verhalten der Westmächte, die vollzogene Tatsachen hinnahmen. Es blieb aber immer noch bei den Gesprächen und Wünschen.

Wenige Tage vor dem 26. März 1939 fand in Feldkirch eine Veranstaltung statt. Dem Ablauf der Ereignisse nach dürfte der Anlass hierzu die am 22. März 1939 erfolgte Rückgabe des Memellandes an das Reich durch Litauen gewesen sein. Zahlreiche Liechtensteiner Nationalsozialisten nahmen daran teil.

Im Verlauf dieses Abends kam der endgültige Entschluss zustande, in Liechtenstein gemeinsam d.h. durch SA, HJ aus Vorarlberg und Liechtensteiner Nationalsozialisten die Macht zu übernehmen und damit Liechtenstein an das Reich anzuschliessen.

Man diskutierte Plan und Zeitpunkt:

Vorarlberger, vor allem Feldkircher, SA und HJ marschieren geschlossen in Uniform mit Fackeln am späten Abend des festgesetzten Tages nach Liechtenstein. Liechtensteiner Nationalsozialisten empfangen sie an der Grenze auf Liechtensteiner Boden und marschieren mit ihnen nach Vaduz. In Vaduz erfolgt in feierlichem Rahmen die Proklamation der Machtübernahme und des Anschlusses an das Reich; daher das Mitführen von Fackeln.

Die Möglichkeit, dass in Liechtenstein ihr Marsch gestört, in Vaduz ihre Machtübernahme verhindert werden könnte, gab es für die Akteure überhaupt nicht; hatte es doch auch bei der Machtübernahme in Österreich keinerlei Widerstand gegeben. Dazu kam die Hochstimmung über Hitlers Erfolge, das Bewusstsein, ein starkes Reich hinter sich zu haben, kurz, die Überzeugung "Nichts kann uns aufhalten!"

Hinsichtlich der Schweizer Zollbeamten waren sie der Überzeugung, dass sich diese auf Schweizer Gebiet absetzen würden. Zudem fühlten sie sich ihnen wie der Liechtensteiner Polizei gegenüber zahlenmässig weit überlegen. Wie alle Vernommenen übereinstimmend aussagten, hatten sie den Putsch auf das Überraschungsmoment abgestellt und zwar sowohl gegenüber Liechtenstein als auch im Hinblick auf die zu erwartende, besser gesagt erhoffte, Reaktion Hitlers.

Sie waren entschlossen, mit Unterstützung der Liechtensteiner Nationalsozialisten den Fürsten [Franz Josef II.], die Regierungs- und die Parlamentsmitglieder sowie sonstige Persönlichkeiten unter Bewachung zu haben, ehe sie untereinander in Verbindung treten konnten. Daher der nächtliche Marsch und die beabsichtigte Proklamation der Machtergreifung, des Anschlusses, um Mitternacht; deshalb diese Überrumpelungs- diese Handstreichtaktik. Bis zum Morgengrauen musste Liechtenstein "in ihrer Hand" sein.

Hitler, vor diese vollendete Tatsache gestellt, sollte so gezwungen werden, "Machtergreifung und Anschluss" zu sanktionieren und die aus der gegebenen Situation sich ihm aufdrängenden Befehle zu geben.

Auf Grund dieser Gedankengänge hatte man sich auch in keiner Weise mit Überlegungen belastet, was nach der Proklamation, nach den ersten Verhaftungen, geschehen soll.

Die Antworten auf die Frage nach dem Motiv waren nicht sehr aufschlussreich; man sprach von Liechtenstein als altem deutschem Land und seinen engen Beziehungen zu Österreich, das doch auch "angeschlossen" sei. Einzelheiten sind mir nicht mehr in Erinnerung.

Schon seinerzeit fragte ich mich, was die Akteure in Vorarlberg bzw. Feldkirch und Liechtenstein tatsächlich zu diesem "Unternehmen" veranlasste. Ich kam zu der Auffassung, dass die inneren Gründe in der durch Hitlers aussenpolitische Aktionen ausgelöste, die Massen beherrschende Mischung von Bangen hinsichtlich der Reaktion der Westmächte und befreienden Begeisterung lagen, dass es "wieder gut ging". Nicht von ungefähr kamen die Anschlussgerüchte dann hoch, wenn die Propaganda mit all ihren Mitteln einen neuen aussenpolitischen Höhepunkt vorbereitete, eine neue Aktion einleitete und dann den schliesslichen Erfolg feierte. Doch es blieb immer wieder bei den Anschlussgesprächen, Anschlusswünschen und - Plänen, den versäumten Anschluss nachzuholen, bis der äussere Grund, der letzte Anstoss kam. Das war die Feier, bzw. deren Anlass, in Feldkirch.

Wollten die Akteure es den litauischen Freischaren aus dem Jahre 1923 gleichtun, die im Schatten der französischen Ruhrinvasion das Memelland besetzen und anschlossen, was der Völkerbund nachträglich sanktionierte, wollten sie im Schatten des Einmarsches in die Tschechei, in Prag, im Memelland, dasselbe tun, waren seit Prag doch erst acht Tage vergangen?

Oder hatten sie erkannt, was einen nicht geringen Teil der Bevölkerung mit Besorgnis erfüllte, dass zwischen dem Anschluss deutschsprachiger Gebiete und dem Einmarsch in die Tschechei ein grosser Unterschied war. Bis zum 24.3. hatten die Westmächte nichts unternommen; sie hatten noch hingenommen. Ob es dabei blieb? Diese Frage bedrückte viele, erfüllte sie mit der lähmenden Angst, dass ein einziger unbesonnener deutscher Schritt Fürchterliches zur Folge haben kann. Und gerade in diesen Tagen der Hochspannung beschlossen Liechtensteiner und Vorarlberger den Anschluss Liechtensteins! Ignorierten sie jede vernünftige Überlegung, gab ihnen das Schweigen der Westmächte die letzte Sicherheit zum Entschluss "Jetzt oder nie"? Ohne Rücksicht auf aussenpolitische Folgen!

Wie die Vernehmungen ergaben, dachten und "planten" sie nur bis zur Proklamation des Anschlusses in Vaduz. Wie die Vernommenen übereinstimmend erklärten, hatten sie sich von Hitler nicht nur eine wohlwollende Beurteilung ihres Putsches sondern auch Anerkennung und Ehrung erwartet.

In ihrem Typ erinnerten die Vernommenen an die Teilnehmer des nat. soz. Putschversuches in Wien am 25. Juli 1934: Revolutionäre, von ihrer Idee besessene Draufgänger.

Aus den Vernehmungen ging hervor, dass für das gemeinsame Unternehmen von Vorarlberger HJ und SA kein gemeinsamer Verantwortlicher bestimmt worden war. Es fehlte auch an einer Planung, was bei ev. Zwischenfällen, unvorhergesehenen Schwierigkeiten, auftretenden Widerständen, geschehen sollte.

Eingeräumt muss werden, dass die Vernommenen bei ihren Vernehmungen einiges verschwiegen; es besteht auch die Möglichkeit, dass in mancher Hinsicht oder von einem vereinbarten Zeitpunkt ab die Führung der Aktion bei den Liechtensteinern, bei einem von ihnen liegen sollte. Beruhten die Aussagen der Vorarlberger auf Wahrheit, so drängte sich wiederum der Vergleich mit den Wiener Putschisten auf. Im kritischen Moment fehlte es dort am Zusammenspiel zwischen der SS im Bundeskanzleramt und der in Wien bereitstehenden SA. Nach dem Zusammenbruch des Putschversuches wollte die Schuld am Misslingen, an den schweren Verlusten in den Kämpfen gegen die Exekutive im Bundesland, niemand tragen. Die Verantwortung für die beiden Schüsse auf den Bundeskanzler [Engelbert] Dollfuss lehnte jeder ab, auch der Täter. Er schob sie dem Opfer zu.

SA und HJ trug zur Uniform den Dolch. Zur Schiessausbildung besassen die Einheiten Gewehre und Pistolen. Die Angaben der Vernommenen über den Einsatz von Waffen sind mir heute nicht gegenwärtig.

Während der Vernehmung unterrichtete ich fernmündlich und in mehreren Fernschreiben meinen Vorgesetzen in Innsbruck. Ich bat ihn, zu veranlassen, dass die verantwortlichen SA- und HJ-Führer durch ihre vorgesetzten Dienststellen umgehend nach Innsbruck gerufen werden. Damit wollte ich erreichen, dass eine Wiederholung des Unternehmens in der kommenden Nacht und auch für die Zukunft unterbleibt, in Innsbruck den Führern ihr Plan ein- für allemal ausgeredet wird. Mein Innsbrucker Chef handelte sofort mit der ihm eigenen Aktivität.

Als ich nach den Vernehmungen sämtliche Beschränkungen aufhob, bekamen kurz darauf die Verantwortlichen den Befehl, sich in Innsbruck zu melden. Was ihnen eröffnet wurde, habe ich nie erfahren.

Die Grenzmassnahmen liess ich vorsorglich noch eine oder zwei Nächte bestehen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ein junger Beamter meines Grenzpolizeipostens in Feldkirch bei dem Putsch auch "mitmischen" wollte. Es handelte sich um einen HJ-Angehörigen mit dem "goldenen HJ-Abzeichen"; er war 1938 zu meiner Dienststelle gekommen. Kurze Zeit nach dem Putschversuch wurde er auf meine Veranlassung nach Norddeutschland versetzt.

Noch am Sonntag, den 26. März, also kurz nach dem Abschluss der Vernehmungen, fuhr ich mit der Bahn in Begleitung des Beamten, der die Vernehmungen durchgeführt hatte, nach Innsbruck zur Berichterstattung. Die Vernehmungsniederschriften las ich in der Bahn.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Montag, 27. März "Bespr. Dr. Hoop F'kirch".

In einer mehrstündigen Besprechung in Feldkirch unterrichtete ich Dr. Hoop ausführlich über meine Massnahmen und das Vernehmungsergebnis.

Dr. Hoop schilderte die Lage in Liechtenstein, sprach von Verhaftungen, deutete aber schon bei dieser Besprechung an, der Fürst werde voraussichtlich anordnen, keine Strafverfahren einzuleiten, befürchte aber, dass die nach Vorarlberg absetzenden Liechtensteiner gegen Liechtenstein arbeiten werden. Schwierig sei auch die Begründung der Haftentlassungen.

Ich erklärte mich bereit, die Liechtensteiner bei ihrem Eintreffen in Vorarlberg vor einer politischen Tätigkeit gegen Liechtenstein warnen und die Abschiebung ins Altreich für den Fall der Zuwiderhandlung androhen zu lassen. Hinsichtlich der Haftentlassungen regte ich an, sie im Zusammenhang mit besonderen Anlässen, Gedenktagen usw. auszusprechen. Damit sie auch erreicht, dass nicht alle Entlassenen im gleichen Zeitpunkt in Vorarlberg auftauchen. Es würden wohl auch andere Nationalsozialisten von Liechtenstein nach Vorarlberg herüberkommen.

In Vorarlberg unterrichtete ich nur den Mann, von dem ich überzeugt war, dass er mit dem Putschversuch nichts zu tun hatte und meine Massnahmen guthiess. Ich war nicht ganz sicher, ob nicht doch ein Kreisleiter oder höhere Funktionäre von dem Plan zumindest wussten, aber sich nach dem Scheitern sofort distanzierten. Der Mann, den ich ins Vertrauen zog, war Dr. Rudolf Kopf, vom 13. März 1938 bis zum Ostmarkgesetz, [3] das am 14.4.1939 verkündet wurde, Landesstatthalter, also Landeshauptmannstellvertreter in Vorarlberg.

Ich hatte mehrere Besprechungen mit ihm. Er war Nationalsozialist, aber sachlich im Denken und Handeln. In erster Linie war er Vorarlberger; deshalb sein Kampf gegen den "Anschluss" Vorarlbergs an Tirol.

Dr. Kopf war auch mit der geplanten Behandlung der nach Vorarlberg kommenden Liechtensteiner Nationalsozialisten einverstanden und sagte mir jede Unterstützung zu.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Montag, 17. April "14.00 – 22.00 Vaduz".

Dr. Kopf und ich fuhren mit dem Wagen nach Vaduz; ich hatte ihn gebeten, mitzufahren. Thema der Besprechung mit dem Regierungschef Dr. Hoop war wieder die Behandlung der Liechtensteiner Nationalsozialisten. Nach ausführlicher Darlegung des Ablaufs meiner Massnahmen und die Aussagen der Vernommenen am 26.3. – der Regierungschef hatte noch eine Reihe von Fragen gestellt – erklärte ich, die Liechtensteiner Nationalisten so wie von mir bereits am 27.3. vorgeschlagen, behandeln zu wollen. Ich schilderte auch, wie ich mir das praktisch vorstellte.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Dienstag, 18. April "Dr. Kopf (Ich mache nichts mehr)".

Dieser Eintrag bezieht sich auf das am 14.4.1939 verkündete Ostmarkgesetz. Nach § 1 dieses Gesetzes wurde im Gebiet des Landes Österreich sieben Reichsgaue gebildet, darunter der "Reichsgau Tirol, bestehend aus dem ehemals österreichischen Land Tirol; die Verwaltung des Reichsgaues hat ihren Sitz in Innsbruck. Das ehemals österreichische Land Vorarlberg bildet bis auf weiteres einen eigenen Verwaltungsbezirk und eine Selbstverwaltungskörperschaft, die vom Reichsstatthalter in Tirol geleitet werden." Es blieb bei der Einverleibung Vorarlbergs in den Gau TirolVorarlberg.

Damit war, wie schon erwähnt, die Tätigkeit von Dr. Kopf als Landesstatthalter beendet. Drauf bezog sich seine von mir in meinem Taschenkalender festgehaltene Bemerkung. Das Ende der Zusammenarbeit mit ihm bedauerte ich sehr.

In den folgenden Wochen und Monaten kamen Liechtensteiner Nationalsozialisten nach Vorarlberg. In einigen Fällen musste ich Abschiebungen ins Altreich durchführen lassen; zuerst nach Württemberg und dann, als die Abgeschobenen wieder in Vorarlberg auftauchten und illegal zu arbeiten begannen, weiter nach dem Osten des Altreichs.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Donnerstag 20. Juli "In Lie. bei Hoop gewesen".

Diese Fahrt machte ich in Begleitung meines Beamten [Ernst] May, der den Wagen steuerte.

Dr. Hoop und ich besprachen die durchgeführten Massnahmen und die gemachten Erfahrungen. Dr. Hoop bat mich dann, nochmals am Montag, den 24. Juli, nach Vaduz zu kommen, um vom Fürsten empfangen zu werden.

Eintrag im Taschenkalender 1939: Montag, 24. Juli "Beim Fürst v. Lie. gewesen mit May"

Der Empfang fand im Regierungsgebäude satt. Der Fürst entschuldigte sich, mich nicht im Schloss empfangen zu können, da dort seine Tante auf Besuch weile; er fühle sich aber verpflichtet, sich bei mir persönlich für meine Unterstützung in der Vereitelung des Putsches und meine weitere Tätigkeit gegen die Liechtensteiner Nationalsozialisten in Vorarlberg zu bedanken.

Der Regierungschef schloss sich dem Dank an. Der Fürst verabschiedete sich sehr herzlich und bat den Regierungschef, mit mir noch einen gemütlichen Abend zu verleben. Wenn ich mich recht erinnere, war an diesem Abend ein Herr aus Wien, der Typ des charmanten, gemütlichen Österreichers, anwesend.

Das war - für mich – der Abschluss des Putschversuchs Liechtenstein.

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Jahre vergingen.

Von 1940 bis 1945 leitete ich in den Niederlanden die Spionageabwehr auf dem Polizeisektor. Nach der deutschen Kapitulation – für die Niederlande, Nordwestdeutschland und Dänemark am 4. Mai 1945 – kam ich in Holland in kanadische Gefangenschaft, wurde von englischen Vernehmungsoffizieren übernommen und im März 1947 den Holländern übergeben.

In einer Pause einer der zahlreichen Gerichtsverhandlungen, in denen ich als Zeuge auszusagen hatte, fragte mich ein mir aus verschiedenen Verhandlungen schon bekannter niederländischer Journalist im Juni 1948, warum ich bei Vernehmungen oder ihm gegenüber nie erwähnt hätte, dass ich den Anschluss Liechtensteins an das Deutsche Reich vereitelte. Ich erklärte, die Sache Liechtenstein habe mit den Niederlanden nichts zu tun, ich lehnte es auch ab, für mich zu sprechen; zudem würde mir doch niemand glauben. Der Journalist erwiderte, er habe diese Antwort von mir erwartet und sich, als er von dieser Sache hörte, an die Regierung von Liechtenstein gewandt, deren Antwort er mich lesen lassen wolle. Das Schreiben lautet: [4]

Regierung des Fürstentums Liechtenstein

Vaduz, am June 15, 1948

Nr. FR/kr. (In der Antwort bitte anzugeben)
Y/Ref. Ka/LD.
AFD: C.

An
Haagsch Dagblad
Herengracht 58,
's-Gravenhage
Netherlands.

Dear Sirs,

In reply of your letter of 8 June 1948 we are in position to communicate, that the undersigned Premier of Government [Alexander Frick] has asked informations by his predecessor the former Premier of Government Mr. Dr. Josef Hoop, about his negociations with Kriminaldirektor Josef Schreieder. We hereafter make them know:

Mr. Dr. Hoop communicates, that he was by Schreieder at Bregenz and had drawn his attention to the rumours, after which the SA of Vorarlberg (Austria) intended to occupy Liechtenstein. He begged Mr. Schreieder to control the rumours on their rightness and to prevent the execution of this intention, i.e. to make prevent. In fact, there happened no incidents. As Dr. Hoop says, Mr. Schreider was in official service communication very decent and complaisant.

We hope to have rendered service with these communications and remain

Yours sincerely

Government oft the Prinicipality of Liechtenstein

w.g. onleesbar

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Eine Abschrift dieses Schreibens liess mir der Journalist nach meiner Entlassung aus der Gefangenschaft zukommen.

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Auf besonderen Wunsch und gegen die Zusicherung absoluter Verschwiegenheit habe ich diese Ausführungen gemacht. Ich bemühte mich, aus der Erinnerung soviel als möglich zurückzuholen und Erinnerungsirrtümer zu vermeiden. Inwieweit für Liechtensteiner Nationalsozialisten die Planung eines Anschlusses und die Festsetzung des Zeitpunktes der Aktion Ereignisse in Liechtenstein massgebend war, sei es, um sie nachträglich ungeschehen zu machen oder ihnen zuvorzukommen, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

 

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[1] LI LA SgK 672 (a). Über die Herkunft und die Entstehungszusammenhänge der Aufzeichnungen konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.
[2] Anmerkung im Dokument: "Der 11. März 1938 war ein Freitag, der 12. März Samstag, der 13. März Sonntag."
[3] Vgl. RGBl., 1939, I, S. 777-780 (Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark).
[4] Das Original dieses Schreibens wurde nicht aufgefunden.